Neugierig geworden auf den Chor unserer evangelischen Kirche sind wir durch die gemeinsame Gestaltung einer Veranstaltung im vergangenen Sommer zu Ehren einer Sängerin, die sich sowohl in der Kantorei als auch in unserem Gospelchor über viele Jahre hinweg verdient gemacht hat. Bereits bei dieser Gelegenheit präsentierte sich die Kantorei mit einem aussergewöhnlichen Auftritt, weckte Interesse auf mehr und es entstand die Idee, das Adventskonzert zu besuchen und darüber zu berichten.
Für den Autor dieses Artikels war es das erste Live-Konzert eines klassischen Chores. Obgleich aktiver Sänger in unserem Männerchor wie auch in unserem Gospelchor, ist der klassische Gesang nicht unbedingt ein Genre, welches mir bis anhin irgendwelche Berührungspunkte anbot. Natürlich, man sieht und hört "so etwas" immer wieder mal bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern beim Zappen durch's Programm und ist dann geneigt, sehr schnell weiter zu schalten, so ein wenig nach dem Motto "Och, das brauche ich jetzt nun wirklich nicht!". :-) Aber, wer sich für Musik und Gesang interessiert und ein solches Konzert einmal live erlebt hat, den zieht es in seinen Bann, DAS ist mein Resümee dieses Abends. Doch, der Reihe nach!
Ich betrete unsere evangelische Kirche ca. 30 Minuten vor Konzertbeginn durch den Seiteneingang und eigentlich ohne jegliche Erwartungen. Der erste Eindruck: beeindruckend! Denn im vorderen Bereich der Kirche hat sich ein 20-köpfiges Symphonieorchester aufgebaut, inklusive Kesselpauken, Cembalo sowie diverser Streich- und Blasinstrumente. Hoppla, denke ich, das scheint was Grösseres zu werden. Ah, es gibt einen Programm-Flyer denke ich. Sehr gut! Begleitmaterial - das hilft einem Klassik-Laien wie mir bestimmt, um sich einzustimmen. Man möchte ja schliesslich ein wenig vorbereitet sein. :-) Ich nehme auf der hinteren Empore der Kirche Platz und vertreibe mir die Zeit bis zum Konzertbeginn mit dem Studium des Flyers - erneut beeindruckend! Der Chor wird am heutigen Abend von gleich 5 Gastsolistinnen und -solisten unterstützt, allesamt mit äusserst interessanten Lebensläufen.
Ein 20-köpfiges Orchester - 5 Solisten - zusätzlich zum 30 Damen und Herren umfassenden Chor - so langsam ist meine Neugierde geweckt. Und dann, pünktlich um 17 Uhr, eingeleitet durch das Geläut der Kirchenglocken, betritt der Chor die mittlerweile vollbesetzte Kirche.
Gloria in excelsis deo , das erste Stück des 11-teiligen Gloria von Antonio Vivaldi. Was für ein fulminanter Auftakt des Konzerts gemeinsam durch Orchester und Chor! Im 3.Teil (Laudamus te) dann zum ersten Mal solistische Einlagen, dargeboten von Miriam Gadatsch und Oliver May. Für mich beeindruckend an diesem Stück war, mit welcher spielerischen Leichtigkeit sich der Tenor in den gesanglichen Höhen der Sopranistin bewegen konnte. Insgesamt darf festgehalten werden, dass das gesamte Gloria eine grosse Bandbreite an verschiedenen Stilen und Kombinationen zu bieten hatte. Mal ein Duett zwischen der Sopranistin und dem Tenor, mal der Gesamtchor mit Unterstützung des Orchesters, mal ein wunderschönes und ruhiges Duett zwischen einer Oboe und der Sopranistin, mal ein hervorgehobener und betonter Männerchor innerhalb des Gesamtchores. Und buchstäblich mittendrin stand Kantor Giuliano Mameli - wie ein Fels in der Brandung. Man konnte förmlich spüren, wie er die Fäden in der Hand hielt, den Solisten zum erforderlichen Raum zur Entfaltung verhalf und die imposanten Stücke mit der gewünschten Fulminanz und Ausdrucksstärke in Szene setzte. Bei mir hat Signore Mameli an diesem Abend definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Bravo! Bravissimo!
Fulminant begann auch der 2.Teil des Konzert, das Magnificat von Johann Sebastian Bach. Man hätte glauben können, mitten in einem grossen Konzertsaal zu sitzen, so ausdrucksstark intonierten Chor und Orchester den Beginn des Magnificat. Absolut beeindruckend! Und auch das Magnificat präsentierte eine schöne Vielfalt in Bezug auf die Kombinationen der verschiedenen Akteure, reine Chorstücke mit und ohne Unterstützung durch das Orchester genauso wie einige solistisch begleitete Stücke, namentlich neben den bereits erwähnten Miriam Gadatsch und Oliver May des weiteren Bariton Stefan Keylwerth vom Bruch, Altus Gert Hohmann sowie Danilo Tepsa. Vor allem Gert Hohmann beeindruckte mich nochmals sehr speziell mit seinem Solo in Stück 9 (Esurientes implevit bonis), einer Arie mit einem Zusammenspiel zwischen 2 Querflöten und dem Altus. Wunderschön!
So war es denn auch überhaupt nicht verwunderlich, dass sofort nach letzten Ton von Gloria Patri, dem zwölften und letzten Stück des Magnificat minutenlanger tosender Applaus ausbrach. Und dieser Applaus war die verdiente Würdigung für eine herausragende Leistung auf einem sehr anspruchsvollen Niveau. Selbstredend, dass dieses Konzert nicht ohne eine Zugabe beendet werden konnte. Auch für diesen Teil hatte man sich etwas Besonderes einfallen lassen, Tochter Zion beginnend mit Orchester und Solisten, anschliessend der Chor mit den Zuhörern und zum Schluss alle gemeinsam. Ein würdiger Abschluss und imposant bis zum letzten Paukenschlag bzw. letzten Ton.
Die Kantorei Selzen, was für ein kulturelles Kleinod in unserer Gemeinde! Fest steht: ich bin zwar immer noch kein Klassik-Fan, mein Herz gehört dem Jazz. :-) Aber fest steht auch, dass diese Art von Veranstaltungen tolle Gelegenheiten sind, "mal über den Tellerrand hinaus zu schauen", mal etwas anderes zu entdecken und kennenzulernen. Und fest steht auch, dass mich die Kantorei ein wenig in ihren Bann geschlagen hat und ich gespannt auf 2020 warte, den angekündigten Zeitpunkt für die Veröffentlichung ihres nächsten Projekts. Und ich werde wieder dabei sein. Ganz bestimmt! :-)